Grundprinzip von ERA
Bekanntlich ist die ursprüngliche Motivation von ERA die Vereinheitlichung des Tarifsystems
für Arbeiter und Angestellte. Bei dieser Reform werden alle Tätigkeiten neu bewertet und
jeweils einer der zwölf Entgeltgruppen zugeordnet.
Wichtigstes Prinzip: Es kommt allein auf die Anforderungen der Tätigkeit eines Mitarbeiters an,
nicht darauf welche Qualifikation der Mitarbeiter insgesamt hat oder gar welche Tätigkeiten er
früher erledigt hat bzw. potenziell in Zukunft erledigen könnte. Da der Arbeitgeber dem
Mitarbeiter seine Aufgaben zuweist, kann er auf diese Weise auch die Eingruppierung
beeinflussen. Dadurch ist es dem Arbeitgeber möglich quasi Abgruppierungen vorzunehmen.
In Bayern wird die Arbeitsaufgabe durch ganzheitliche Betrachtung bewertet, d.h. anders als in
anderen Tarifgebieten nicht durch Ankreuzen eines Kriterienkatalogs und Berechnung einer
Punktzahl durch Aufsummieren der erfüllten Kriterien.
Schließlich sind jeder Entgeltgruppe als Unterkategorien noch Stufen (A oder B, ggf. C)
zugeordnet. Die Stufe hängt davon ab, wie lange diese oder eine gleichwertige Tätigkeit
bereits ausgeführt wird.
Kriterien für die Eingruppierung im Tarifgebiet Bayern
Folgende beiden Aspekte werden zur Eingruppierung verwendet:
- fachliche Qualifikation
- Handlungsspielraum
Die
fachliche Qualifikation umfasst nicht nur, wie man zunächst annehmen könnte, das für die
Tätigkeit erforderliche Fachwissen, sondern nach Definition des Tarifvertrags auch Kompetenzen
hinsichtlich Einsatzflexibilität, Zusammenarbeit und Kommunikation. Diese Besonderheit sollte
gerade bei international tätigen Unternehmen, wie etwa bei Siemens auf Grund der komplexen
Projekte mit Beteiligung von internationalen Entwicklungsstellen, externen Consultants,
Landesgesellschaften sowie weltweit verteilter Kundschaft zur Aufwertung der fachlichen
Qualifikation führen.
Führungsaufgaben, sowohl disziplinarisch als auch fachlich, gelten dabei einer fachspezifischen
Zusatzqualifikation als gleichwertig. Hiervon können unter anderem solche Mitarbeiter
profitieren, die die Aufgabe haben, die eigentlichen fachlich versierteren Experten zu
koordinieren.
Zwar werden bei der Definition der Entgeltgruppen charakteristische Ausbildungswege genannt,
es ist jedoch auch möglich, sich die erforderlichen Kenntnisse anderweitig anzueignen.
Es kommt nur darauf an, welche Berufsausbildung die jeweilige Tätigkeit in der Regel erfordert,
jedoch nicht, ob der Mitarbeiter, der diese Tätigkeit ausführt, genau die genannten Abschlüsse
besitzt.
Im Tarifvertrag sind für die über die Berufsausbildung hinausgehende fachspezifischen
Zusatzqualifikationen Formulierungen verwendet wie "erweitert",
"umfangreich", "umfangreich, über EG ... hinausgehend",
"besonders umfangreich", was im Kombination mit einem Ausbildungsabschluss
z.B. zu folgender Einstufung führt:
Zusatzqualifikation |
dreijährige Ausbildung |
qualifizierte Weiterbildung, z.B. Techniker |
Fachhochschul-Studium (in der Regel 4 Jahre) |
Universitäts-Studium (in der Regel mehr als 4 Jahre) |
nicht erforderlich |
5 |
8 |
9 |
10 |
erforderlich |
6 |
9 |
10 |
11 |
erweitert |
7 |
10 |
11 |
12 |
umfangreich |
8 |
11 |
12 |
|
"über EG8 hinausgehend" |
9 |
|
|
|
besonders umfangreich |
10 |
12 |
|
|
wohlgemerkt: was die Tätigkeit in der Regel erfordert, nicht was der Mitarbeiter hat oder kann.
Als zweites Eingruppierungsmerkmal dient der
Handlungsspielraum. Hier ist die Einteilung
wesentlich gröber:
- ab Entgeltgruppe 5: Aufgaben, die Entscheidungen bei der Arbeitsausführung voraussetzen
- ab Entgeltgruppe 9: Aufgaben mit Entscheidungs- und Dispositionsspielraum im Rahmen der Aufgabenstellung
- ab Entgeltgruppe 11: Aufgaben mit Entscheidungen bezüglich der eigenen Aufgabenstellung
(jedoch ohne die Aufgabe selbst zu bestimmen)
Orientierungsbeispiele
Um diese abstrakten Formulierungen (gerade zum Handlungsspielraum) einvernehmlich bewerten
zu können, wurden zwischen IGM und Arbeitgeberverband 70 typische Tätigkeiten als
Orientierungsbeispiele eingruppiert. Diese dürften leider bei Siemens für die meisten
Tätigkeiten wenig hilfreich sein, weil sie einerseits nicht auf die stark funktionale
Arbeitsteilung (z.B. Vertrieb, Product Line Management, System Engineering, Implementierung,
Test, Service) aufgrund komplexer Projekte eingehen und andererseits ganze Tätigkeitsfelder,
wie z.B. Software-Entwicklung, nicht zufriedenstellend abdecken.
Ablauf
Bis Ende September wurde allen Tarifmitarbeitern und den Betriebsräten die von Siemens
vorgesehene Eingruppierung mitgeteilt. Diese wurde von Oktober bis Dezember von den lokalen
Betriebsräten überprüft.
Da der Arbeitgeber dem Betriebsrat keine konkreten Aufgabenbeschreibungen geliefert hat,
sondern nur abstrakte betriebliche Niveaubeispiele, musste der Betriebsrat die korrekte
Eingruppierung sowohl durch Fragebögen als auch durch intensive persönliche Gespräche
mit den Mitarbeitern ermitteln. Der Betriebsrat hat entsprechend seiner Erkenntnisse bis
Ende Dezember der vom Arbeitgeber vorgesehenen Eingruppierung umfangreich widersprochen.
Im Januar befasste sich je Betrieb die
paritätische Kommission, die zu gleichen Teilen
aus Betriebsräten und Arbeitgebervertretern bestand, mit den Widersprüchen. Abgesehen von den
Widersprüchen, bei denen es nur um die Festlegung der Stufe ging, konnten sich die
paritätischen Kommissionen in etlichen Fällen nicht auf eine Eingruppierung einigen.
Folglich haben die Betriebsräte inzwischen die
tarifliche Schlichtungsstelle
(mit unparteiischem Vorsitzenden) angerufen, die nun gefordert ist, für diese Fälle innerhalb
von vier Wochen endgültig über die korrekte Eingruppierung zu entscheiden.
Ein Rechtsweg ist für den Regelfall eigentlich nicht vorgesehen. Diesen gibt es nur bei
Verfahrensfehlern und "grober Verkennung der tariflichen Eingruppierungsgrundsätze".
Nach Ansicht der Betriebsräte ist das jedoch durchaus gegeben.
Wie man sieht, läuft das ganze Verfahren im Wesentlichen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.
Dem Mitarbeiter bleibt dabei eigentlich nur, die verantwortlichen Stellen des Betriebsrats
möglichst gut über die Qualität seiner Tätigkeit zu informieren. Eine individualrechtliche
Klage zur ERA-Eingruppierung an sich ist nicht vorgesehen.
Kam es jedoch zu einer Abgruppierung aufgrund einer bereits im Vorfeld nicht vertragsgemäßen
Beschäftigung, kann man dagegen sowohl mit Hilfe des Betriebsrats als auch juristisch vorgehen,
insbesondere wenn der Betriebsrat über die zu Grunde liegende Versetzung nicht informiert wurde
oder dieser widersprochen hat. Leicht wird das erfahrungsgemäß aber nicht.
Leistungsbeurteilung
Bei ERA wird die bisherige Leistungszulage von bis zu 19% des Grundgehalts durch ein
leistungsabhängiges Entgelt von bis zu 28% des Grundentgelts ersetzt.
Für die Leistungsbeurteilung wurde das bisherige System leicht modifiziert, sowohl
hinsichtlich der Kriterien als auch der Gewichtung (Details siehe Tarifvertrag).
Bei der ERA-Einführung wird das leistungsabhängige Entgelt zunächst ohne Leistungsbeurteilung
proportional zur bisherigen Leistungszulage berechnet. Der gemäß Tarifvertrag etwas kompliziert
zu ermittelnde Umrechnungsfaktor ist von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich, da er vom
jeweiligen betrieblichen Durchschnitt der bisherigen Leistungszulagen abhängt.
Beispiele unter der Annahme eines betrieblichen Durchschnitts von 11%:
Punktzahl |
bisherige Leistungszulage |
leistungsabhängiges Entgelt nach ERA |
40 |
7,60% |
10,75% |
50 |
9,50% |
13,44% |
60 |
11,40% |
16,13% |
70 |
13,30% |
18,82% |
Besitzstandsregelung
Bei einer Abgruppierung ist im ERA-Einführungstarifvertrag geregelt, dass das tarifliche Monatseinkommen
insgesamt nicht sinken darf. Allerdings werden zukünftige Tariferhöhungen teilweise angerechnet.
Bekanntlich setzte sich das Gehalt bisher zusammen aus:
- Grundgehalt
- Leistungszulage (bis zu 19% des Grundgehalts)
- freiwillige Sonderzulage
Das Gehalt nach ERA-Einführung setzt sich zusammen aus:
- Grundentgelt
- leistungsabhängiges Entgelt (bis zu 28% des Grundentgelts)
- ggf. Ausgleichszulage
- ggf. Überschreiterzulage
- freiwillige Sonderzulage
Die
freiwillige Sonderzulage steht außerhalb der tariflichen Regelung. Sie ist wie bisher
jederzeit widerruflich und wird bei der Besitzstandsregelung nicht betrachtet.
Das
leistungsabhängige Entgelt wird wie
oben beschrieben umgerechnet.
Dann wird die
Entgeltdifferenz der tariflichen Gehaltsbestandteile berechnet, also
Grundgehalt (alt)
+ Leistungszulage (alt)
– Grundentgelt (neu)
– leistungsabhängiges Entgelt (neu)
Wenn das weniger als 10% des bisherigen Tarifgehalts sind, ist das die
Ausgleichszulage
und es gibt keine Überschreiterzulage.
Ist es mehr, dann beträgt die
Ausgleichszulage 10% der Summe aus bisherigem Grundgehalt und
Leistungszulage. Was von der Entgeltdifferenz darüber hinausgeht, ist
Überschreiterzulage.
Die Überschreiterzulage nimmt wie Grundentgelt und leistungsabhängiges Entgelt an
Tariferhöhungen teil.
Die Ausgleichszulage wird nach und nach um die Tariferhöhungen abgeschmolzen, und zwar
- innerhalb des ersten Jahres nach ERA-Einführung nichts,
- die darauffolgende Tariferhöhung (inklusive der für die Überschreiterzulage) voll,
- dann jede folgende Tariferhöhung (inklusive der für die Überschreiterzulage) bis auf 1%,
bis die Ausgleichszulage aufgebraucht ist.
Somit verliert der Mitarbeiter mit der Zeit allein dadurch bis zu 10% seines bisherigen
Tarifgehalts (Grundgehalt + Leistungszulage).
Beispiele (Stand 02/2007) unter der Annahme von 11,4% Leistungszulage:
(Umrechnung der Leistungszulage wie in
obigem Beispiel)
bisherige Tarifgruppe |
IV / 4 |
IV / 4 |
V / 4 |
V / 4 |
V / 4 |
VI / 4 |
VI / 4 |
VII / 4 |
Grundgehalt bisher |
2739,00 |
2739,00 |
3277,00 |
3277,00 |
3277,00 |
3770,00 |
3770,00 |
4302,00 |
Leistungszulage bisher |
312,25 |
312,25 |
373,58 |
373,58 |
373,58 |
429,78 |
429,78 |
490,43 |
Tarifgehalt bisher |
3051,25 |
3051,25 |
3650,58 |
3650,58 |
3650,58 |
4199,78 |
4199,78 |
4792,43 |
ERA Entgeltgruppe/Stufe |
5 B |
6 B |
6 B |
7 B |
8 B |
9 B |
10 B |
11 B |
ERA Grundentgelt |
2221,00 |
2380,00 |
2380,00 |
2581,00 |
2804,00 |
3092,00 |
3426,00 |
3782,00 |
ERA Leistungskomponente |
358,25 |
383,89 |
383,89 |
416,32 |
452,29 |
498,74 |
552,61 |
610,04 |
ERA Tarifentgelt |
2579,25 |
2763,89 |
2763,89 |
2997,32 |
3256,29 |
3590,74 |
3978,61 |
4392,04 |
Ausgleichszulage |
305,13 |
287,36 |
365,06 |
365,06 |
365,06 |
419,98 |
221,17 |
400,39 |
Überschreiterzulage |
166,87 |
0,00 |
521,63 |
288,20 |
29,24 |
189,06 |
0,00 |
0,00 |
Gehaltsentwicklung bei einer Abgruppierung von V/4 nach 6B
(bei angenommener jährlicher Tariferhöhung von 3%):
|
Tarifentgelt |
Ausgleichs- zulage |
Überschreiter- zulage |
Summe |
Erhöhung um |
Einführung |
2763,89 |
365,06 |
521,63 |
3650,58 |
|
2007 |
2846,81 |
365,06 |
537,28 |
3749,15 |
2,70% |
2008 |
2932,21 |
263,54 |
553,40 |
3749,15 |
0,00% |
2009 |
3020,18 |
193,82 |
570,00 |
3784,00 |
0,93% |
2010 |
3110,79 |
122,01 |
587,10 |
3819,90 |
0,95% |
2011 |
3204,11 |
48,05 |
604,71 |
3856,87 |
0,97% |
2012 |
3300,23 |
0,00 |
622,85 |
3923,08 |
1,72% |
Innerhalb von sechs Jahren gibt's also statt 19,4% mehr Gehalt nur 7,5% mehr.
Entgeltanpassung
Erfreulicherweise gibt es auch Fälle, wo das Tarifentgelt nach der ERA-Eingruppierung über dem
bisherigen Tarifgehalt liegt. Das Gehalt nach ERA-Einführung wird dann wie folgt gebildet:
- Grundentgelt
- leistungsabhängiges Entgelt (bis zu 28% des Grundentgelts)
- entweder zuzüglich der verbleibenden freiwilligen Sonderzulage
- oder abzüglich des Anpassungsbetrags
Das
leistungsabhängige Entgelt wird wie
oben beschrieben errechnet.
Die
Entgeltdifferenz wird wie folgt berechnet:
Grundentgelt (neu)
+ leistungsabhängiges Entgelt (neu)
– Grundgehalt (alt)
– Leistungszulage (alt)
Ist das weniger als die bisherige freiwillige Sonderzulage wird letztere um die Entgeltdifferenz
gekürzt. Das bedeutet, dass das Gehalt gleich bleibt, Teile der bisher freiwilligen Sonderzulage
jedoch nicht mehr widerruflich sind und an Tariferhöhungen teilnehmen. Einen Anpassungsbetrag
gibt es in diesem Fall nicht. Die verbleibende freiwillige Sonderzulage bleibt natürlich jederzeit
widerruflich und wird bei Tariferhöhungen nicht berücksichtigt.
Ist die Entgeltdifferenz höher als die bisherige freiwillige Sonderzulage wird diese komplett
gestrichen und der übersteigende Betrag bildet den
Anpassungsbetrag, welcher vom
ERA-Tarifentgelt abgezogen wird.
Der Anpassungsbetrag wird sofort bei ERA-Einführung und anschließend jährlich um 100 Euro reduziert
(d.h. das Gehalt entsprechend erhöht), bis er aufgebraucht ist. Er nimmt an Tariferhöhungen teil.
Spätestens nach fünf Jahren wird der Anpassungsbetrag gestrichen.
Beispiele (Stand 02/2007) unter der Annahme von 11,4% Leistungszulage (Umrechnung wie in
obigem Beispiel) und 200 Euro Sonderzulage:
bisherige Tarifgruppe |
V / 4 |
VI / 4 |
VI / 4 |
Grundgehalt bisher |
3277,00 |
3770,00 |
3770,00 |
Leistungszulage bisher |
373,58 |
429,78 |
429,78 |
Sonderzulage bisher |
200,00 |
200,00 |
200,00 |
Gesamtgehalt bisher |
3850,58 |
4399,78 |
4399,78 |
ERA Entgeltgruppe/Stufe |
10 B |
11 B |
12 B |
ERA Grundentgelt |
3426,00 |
3782,00 |
4120,00 |
ERA Leistungskomponente |
552,61 |
610,04 |
664,56 |
verbleibende Sonderzulage |
0,00 |
7,74 |
0,00 |
Gehalt ohne Anpassung |
3978,61 |
4399,78 |
4784,56 |
Anpassungsbetrag |
128,04 |
0,00 |
384,78 |
Gehaltsentwicklung bei einer Eingruppierung von VI/4 nach 12B
(bei angenommener jährlicher Tariferhöhung von 3%):
|
Tarifgehalt |
Anpassungsbetrag |
Gehalt |
vor Einführung |
4784,56 |
384,78 |
4399,78 |
April 2007 |
4784,56 |
284,78 |
4499,78 |
Tarifrunde 2007 |
4928,10 |
293,32 |
4637,78 |
April 2008 |
4928,10 |
193,32 |
4734,78 |
Tarifrunde 2008 |
5075,94 |
199,12 |
4876,82 |
April 2009 |
5075,94 |
99,12 |
4976,82 |
Tarifrunde 2009 |
5228,22 |
102,09 |
5126,13 |
April 2010 |
5228,22 |
2,09 |
5226,13 |
Tarifrunde 2010 |
5385,07 |
2,15 |
5382,92 |
April 2011 |
5385,07 |
0,00 |
5385,07 |
Nach vier Jahren bekommt der Mitarbeiter also endlich das, was ihm
auf Grund seiner anspruchsvollen Aufgabe zusteht.